Der Dreh mit Barrandov

Peter Würt / MERIAN
Der Dreh mit Barrandov Peter Würt / MERIAN Back

In einer Ansammlung grauer Baracken und Hallen im Süden Prags warden Träume fabriziert. Ausländische Film produzenten reissen sich um die Studios von Barrandov, den sie bieten eine grossartige Stadt als fertige Kulisse

FILM AB FÜR MÖNCHE , MOSLEMS MUSKETIERE

Vor dem Arbeitsamt in der Poststrasse drängen sich die Arbeitslosen. Ein Bier nebenan in den “Schultheiss-Bier-Hallen” ist nicht drin. Geduldig wartendie Gestalten, die Kragen hochgeklappt, in ihren zerchlissenen Winterklamotten. Trostlosigkeit zeichendie Gesichter, an denen nur irritiert, dass sie alle eine Spur zu wohlgenährtund zu braungebrannt sind: Schweissperlen stehen ihnen auf der Stirn. Kein Wunder 31 Grad im Schatten zeigt das Thermometer, und im Kegel der Scheinwerfer sin des sicher noch gut zehn Grad mehr. Aber die 170 Männer und Frauen in der Schlange sind das gewöhnt. Sie alle sind registrierte Komparsen der Barrandov-Film-studios, und was sich hier abspiel, ist alles nur Fiktion. Das “Arbeitsamt” im Stil der zwanziger Jahre ist in Wirklichkeitdas Kreisbürgermeisteramt Prag West, die “Poststrasse” heist Podskalská, das rote Schild  liegt abgeschraubt in der Ecke – und in den “Schultheiss-Bier-Hallen” wird echtes Pilsen Bier ausgeschenkt.

Vertfilmt wird “Das Spinnennetz”, ein Roman von Joseph Roth. “Es ist eine rein private Gesichte, die den Vorteil hat, dass sie auch das Erstarken des Präfaschismus im Deutschland der frühen zwanziger Jahre erzählt, sagt Regisseur Bernhard Wicki, der seit zehn Jahren mit und um diesen Film kämpft, in dem eine ebenso erfolgloser wie politisch unbedarfter junger Mann sich als Werkzeug der Nazis benutzen last und sich mit skrupellosem Ehrgeiz Macht über andere verschafft.

Wie keine andere Stadt eignete sich Prag als Kulisse für diesen Film zur jüngeren europäischen Geschichte. Joseph Roth, von dem Wicki auch schon “Das falsche Gewicht” verfilmte hat als Journalist für das “Prager Tageblatt” gearbeitetund auch die letzten Kapitel zum “Spinnennetz” in der Moldaustadt verfasst. Anders als im vom Krieg zerstörten Berlin, wo der Roman eigentlich spielt, finden die Filmhandwerker in Prag noch Gassen und Gebäude, in denen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Ihnen kommt zugute, dass sich die Stadt erst ganz langsam in die Zukunft aufgemacht hat. Vierzig Jahre lang wurden keine Fensterstöcke erneuert, kein Kopfsteinpflaster mit Asphalt übergossen, Prager Beamtenstuben sehen auch 1989 noch so aus wie in Berlin vor sechzig Jahren. Und ein paar lächerliche Strassenschilder zu übermalen ober zu entfernen oder den Wald der Fernsehantennen abzumontieren, ist für Bühnenbildner und Filmarchitekten eine leichte Übung.

Sie alle gehören zu einen der berühmtesten Filmstudios der Welt, dem Filmové Studio Barrandov (FSB) vor den Toren der tschechoslowakischen Hauptstadt. “Barrandov”, das hat einen guten Klang in der Filmwelt. Am Anfang der dreissiger Jahre entstanden auf dem Barrandov-Hügel die damals modernsten Studios Europas. Am 25. Januar 1933 fiel im Studios 1 die erste Klappe für den Film “Mord in der Ostrovný-Gasse” von Svatopluk Innermann. 1939 übernahmen die deutschen Besatzer die Studios, welt die eigenen Kapazitäten f¨r die Unzahl von Propagandafilmen längst nicht mehr austreichten Bis 1945 entstanden hier deutsche Filme von “Paracelsus” bis zu “Wiener Mädeln”. Tschechischsprachige Filme wurden allenfalls noch von den Deutschen gemacht, den die Filmkünstler des Landes waren in die innere Emigration gegangen.

Wer heute auf den Barrandov-Hügel, an den birkenbestandenen Kříženeckého náměstí Nr.5 kommt fragt sich, ober wirklich in einer Traumfabrik gelandet ist. Der graubraune, kahle Massivbau an dem Platz, der nach dem ersten tschechischen Filmemacher Kříženecký benannt ist (er brachte schon 1898 die Kinematographie nach Prag), bröckelt an allen Ekken. Über den Eingangstüren hängen windschief zwei rote Sterne. Von aussen deutet nichts darauf hin, das shier Glamour und Illusionen für ein weltweites Kinopublikum produziert warden. Die beiden Studios von 1933 stehen noch und warden auch benutzt, ein drittes von 1937 wird immerhin noch als Synchronstudio verwendet. Die drei grossen Drehhallen, die unter den Nazis gebaut wurden , zählen nach wie vor zu den grössten Studios der Welt. Da sie sich miteinander verbinden lassen, ist es möglich, darin bis zu 110 Meter lange Gassen nachzubauen.

Ähnlich wie die Hallen ist auch die technische Ausstattung von Barrandov nicht gerade auf dem neuesten Stand: Devisen sind knapp – und modern Filmtechnik wird vor allem im Westen entwikkelt. Sie zu importieren, übersteigt im allgemeinen die Möglichkeiten von Barrandov-Direktor Jaroslav Gürtler. So kann es dann schon geschehen, dass in München ein 6000-Watt-Scheinwerfer für über zwanzigtausend Mark bestelt wird, aber f¨r das fünfhundert Mark teure Stativ kein Geld mehr da ist. Die wertvolle Stehlampe ruth jetzt auf dem handgeschmiedeten Stativ einer alten russischen Bogenlampe, das maximal auf zwei Meter Höhe ausgefahren warden kann.

Die deutschen, französischen und amerikanischen Produzenten, die sich entschliessen, in und mit dem Barrandov-Studio zu drehen, wissen das alles und nehmen es in Kauf: Sie rücken gleich mit westlichem Equipment an.. Für sie zählt neben den architektonischen Vieltaltigkeiten der Moldastadt vor allem die kostengünstige manpower, die Barrandov zu bieten hat. Getreu dem sozialistischen Grundsatz, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, gibt es keine arbeitslosen Filmschaffenden in der ČSSR. So stehen dann statt der drei unbedingt nötigen vielleicht sieben Beleuchter am Drehort. Da die Preise pauschal ausgehandelt warden, fallen die Kosten für das zusätzliche Quartett nicht ins Gewicht, und die Produktion freut sich. Insgesamt könneb die Kosten für die Produktion rundfünfzig Prozent niedriger gehalt warden als im Westen. Deutsche Produktionen stehen bei Barrandovs Auslandsabteilung Schlange, um einen Drehtermin zu bekommen. Achtzig Prozent der Dienstleistungsaufträgekommen aus der Bundesrepublik. 1987 wurden bei Barrandov ausser dem “Spinnennetz” Filme wie “Rosamunde” oder die 10-Milionen-Mark-Produktion “Fabrik der Offiziere” von Wolf Vollmar realisiert. Fast alle , die hier zu tun haben, stossen über kurz oder lang auf jenen Mann, der in Prag fast alles möglich machen kann: Jan Kadlec, Productionsleiter bei Barrandov seit über dreissig Jahren. Ein barocker Typ mit silberneb Häuptlingslocken, den sp schnell keener unter den Tisch säuft.

Er ist der Mann, von dem deutsche Produzenten verschwörerisch zu erzählen wissen, er könne notfalls auch die halbe sowjetische Armee in der ČSSR als Komparserie “organisieren”. Vor kurzem baute seine Crew sogar ein ganzes winterfestes Dorf an einem See bei Kadov, und während in Deutschland ein Dreh in der Wäldern wegen des Naturschutzes kaum noch möglich schein, ist man in der ČSSR nicht so zimperlich. Wenn der Regisseur eine Lichtung haben will, warden eben Bäume gefält. Und für Kriegsfilme warden auch alte Häuser in Sanierungsgebieten zerstört, wenn’s die Kunst so haben möchte.

Da Kadlec der Mann ist, der die Devisen ins Land bringt, geniesst er bei den Machthabern Narrenfreiheit. Durch den realsozialistischen Alltag gleiten er in einen metalliclackierten Audi 100 quattro mit Münchner Kennzeichen, den eine deutsche Firma, die gelegentlich in Barrandov dreh, hier als Dienstfahrzeug stationieren durfte.

Jan Kadlec hat Welterfolge wie Miloš Formans “Amadeus” möglich gemacht Forman der nach dem Ende des Prager Fr¨hlings aus der Tschechoslowakei emigrierte, entsann sich für “Amadeus” seiner alten Heimat. Im alten Tyl-Theater und im Studio 6von Barrandov entstanden die Traumkulissen für “Oskar” gekröntes Werk. Noch heute sind die Phantasiekostüme der Stolz der Schneider von Barrandov. 45 Frauen und Männer nähen standing an Kostümen für die diverse Produktionen der Studios. Ihr grösstes Problem ist die Beschaffung der Materialien. Woher alte Spitze und Brokate nehmen? Sie im Ausland einzukaufen, geht wegen des Devisenmangelsnicht, und der Nachshub aus dem eigenen Land ist knapp. Trotzdem gelingt es den tapferen Schneiderlein immer wieder, hinreissend schöne Einzelstücke herzustellen. Zweihundert Stunden nähten sie allein an einen Kostüm für Königin Elizabeth in “Maria Stuart” . Mit den Jahren haben sich weit über 250000Kost¨me im Fundus des Studios angesammelt. Vom (echten) Hermelin über Trachtendirndl, einer Unzahl gotischer Kost¨me, bi shin zu SS-Uniformen reicht die Kleiderplatte. Filmproduktionen aus ganz Europa leihen sich hier Kostüme. Ähnlich vielseitig wie der Kostümfundus ist das Requisitenlager der sozialistischen Traumfabrik. Alleine vierzigtausend Kleinrequisiten von der Schwarzwalduhr bis zur Geige, vom edlen Porzellanservice bis zum romantischen Bild stapeln sich in den Regalen. Ein riesiger Lagerraum ist vollgestopf mit Lampen vom böhmischen Kristallüster bi shin zur Neonreklame. Der Möblefundus von FSB würde jeden Antiquitätenhändler vor Neid erbladden und Holzwürmer vom Paradies träumen lassen.

Auf dem Gelände zwischenden Fundushallen warten alte Kutschen auf ihren nächsten Drehtag: flotte Einspänner und imposante schwarze Begräbniskutschen. Hinter dem Möbellager spriesst das Gras zwischen zwei verrosteten T 34-Panzern der Roten Armee. Mit Sperrholz und Pappe wurden sie vielfach umdekoriert, um je nach Drebuch für die Guten oder die Bösen zu rasseln und zu schiessen. Die sagenumwobene Walffenkammer der Studios bleibt leider unzugänglich. Andy der Beleuchter, kriegt ganz glänzende Augen, wenn er von den vielen schönen Dingen erzählt, die dioort zu finden sind. Aber Andy mit dem russischen Pass ist ja auch Militaria-Sammler und läuft den ganzen Tag im amerikanischen Kampfanzug durch die Gegend. Er sieht aus wie ein waschechter GI und spricht fliessend das dazugehörige Idiom. Nebenbei handelt Andy mit Dingen, für die sich Militariafreunde interessieren. Original-russische Uniformen warden nach den USA weiterexportiert, und der grossen Zeichentrick – Tradition Barrandov Rechnung getragen. Der berühmteste tschechische Puppenfilmer, der Maler Jiří Trnka, leitete viele Jahre das Studio unter dem Namen “Bruder im Trick”, benannt nach drei kleinen Figuren im gestreiften Trikot. Von 1945 bis 1980 entstanden hier über zweitausend Trickfilme. Vielleicht hängt die Begeisterung für Trickfilme auch damit zusammen, dass man in ihnen manches sagen kann, was im Realfilm nicht möglich ware.

Einer Frau, Marcella Pitermanova, untersteht die Gruppe 4, die hauptsächlich für Kinderfilme zuständig ist, die fast ein Drittel der Barrandov-Production ausmachen. In tschechischen Augen haben die phantasievollen Kinderfilme einen entscheidenden Vorteil: Sie altern micht, “Die stolze Prinzessin”, ein Kinderfilm von 1952. Hatte alleine in der ČSSR bis heute dreissig Millionen Zuschauer.

Die Barrandov –Studios leistensichein filmsymphonisches Orchester mit knapp achtzig festangestellten Musikern, “Fisyo” gennant, das im Studio am Wenzelsplatz live die Musik einspielt. Tschechische Filmkomponisten wie Karel Svoboda (“Biene Maja”) oder Jan Hammer (“Miami Vice”) sind in aller Welt berühmt und haben die westöstliche Annäherung auf dem Gebiet des Films weiter vorangebracht, Immerhin wurden von Barrandovs Jahresetat von 110 Milionen Kronen in den letzten fünf Jahren durchschnittlich 38 Millionen Kronen durch Auslandsaufträge wieder eingenommen. Mit Glasnost wird sich da sicher noch manches verbessern. Jan Kadlec nennt die Grenzen der neuen Offenheit: “Wir können natürlich nichts drehen, was gegen die Sowjetunion geht.” Alle Projekte müssen der hauseigenen Dramaturgie vorgelegt warden, der Studiodirektor entscheidet. Erotische Filme oder gar “Rambo III” wären bei Barrandov nicht möglich.

Jan Kadlec, der grosse Macher von Barrandov: Mit ihm läuft alles, ohne ihn nichts. Deutsche Produzenten erzählen, er könne ganze Divisionen der Roten Armee im Lande als Komparserie “mobilisieren”

Peter Würt / MERIAN / ISBN  3-455-28903-7